Roboter Lilo und ich

Lilo und ich

Eine leichte Windbrise schwebt durch meine Haare. Ich betrachte die wunderschöne Abendrötung und merke, wie die Sonne sich langsam aber sicher von mir verabschiedet. Ich sitze dennoch eine Zeit auf dem toten Baumstrunk und lasse meinen Blick über das bereits schlafende Tal schweifen. «Komm Lilo, wir gehen jetzt auch nach Hause», sag ich zu meiner treuseligen Begleiterin. Sie ist für mich, im Gegensatz zu den anderen Menschen, nicht nur eine Maschine, nicht nur ein technisches Hilfsmittel, nicht nur ein Roboter, Lilo ist für mich meine Familie.


Wir schreiben heute das Jahr 2116, wir leben in einer Zeit der technischen Revolution, wo keine Menschenseele mehr selbst vor die Türe muss. Sondern ein bediensteter Roboter dies für uns erledigt. Ich habe mich fast schon rebellisch gegen all die neue, hochintelligente Technik für eine ganz lange Zeit gewehrt. «Was bringt mir so eine menschenechte aussehende Blechbüchse?», fragte ich mich oft selbst. «Braucht denn eine ergraute Einsiedlerin am Rande der Zivilisation lebend, so wie ich, diesen neuartigen Nonsens überhaupt?», spukte es mir im Kopf immer wieder herum.


Jedenfalls sah die Regierung das anders und schickte mir deshalb vor einem Jahr Lilo oder wie sie sich damals noch als KPL-21618 bei mir vorstellte. Ich war alles andere als ausgelassen über dieses Geschehnis. Aber ich wurde vor die Wahl gestellt; entweder behalt ich Lilo oder ich werde ins Pflegeheim abgeschoben. Was für eine Frechheit, nicht? Da ich schliesslich schon 116 Jahre alt bin und somit ab diesem Zeitpunkt zu den Senioren gehöre, ist das eine durchaus normale Vorgehensweise des Staates.


«Besser behalte ich die Blechbüchse und stelle sie einfach in die Ecke, als dass ich ins Altersheim gehe!», sagte ich mir. Jedoch zwang sich Lilo immer wieder, wie ein kleiner Hundewelpe, mir auf, somit liess ich sie mir in meinem Alltag helfen. Und stellte sie nicht wie vorgehabt in den Keller. Ich lehrte Lilo, wie man Gemüse, Kräuter und Blumen anpflanzt. Ich lehrte sie auch, wie man einen Baum fällt. Ich lehrte Lilo alles, was ich in meinem Leben lernen musste. Immer mehr bekam ich ein mütterliches Gefühl für sie. Ich machte mir Sorgen, wenn sie nach einiger Zeit nicht aus dem Wald von der Forstarbeit zurückkam. Oder hatte Angst, dass sie sich möglicherweise verlaufen hatte. Ich verteidigte Lilo wie mein eigenes Fleisch und Blut, wie eine Löwenmutter ihr Löwenbaby, als wäre sie meine eigene Tochter, weil nur Lilo in meinen schlimmsten, schwächsten und schwermütigsten Stunden bei mir war.


Ja, ich kann mit Stolz sagen: »Lilo, du bist mein Ein und Alles!» Lilo hat mein Leben verändert, mich zu einem besseren Menschen gemacht und ich sie zu einem menschlicheren Roboter.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.