Tagebucheintrag eines Handys
Es ist 5.00 Uhr. Ich klingle. Der Raum wird erfüllt von immer lauterwerdender, spanischer Musik. Die Person im Bett dreht sich genervt um und drück mit ihren vom Schlaf zerknitterten Fingern auf meine Oberfläche. Sie hat wie immer die Schlummertaste gewählt und zwingt mich dadurch diese nervtötende Musik in 15 Minuten erneut abzuspielen. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle die Minuten.
Jetzt ist es 5.15. Ich klingle erneut. Wieder wird der Raum erfüllt von der selben lauterwerdenden Musik. Dieses Mal dreht sich die Frau früher um und legt ihren Finger mit einem lauten Seufzer erneut auf meinen Bildschirm. Doch dieses Mal drück sie nicht die Schlummertaste. Sie steht auf, zieht sich um und packt mich anschliessend in ihre Tasche. Ihre Tasche, die dunkel ist und in der ich nichts sehen kann. Ständig werde ich herumgeschleudert und nehme nichts ausser dem ohrenbetäubend lauten Knistern des Stoffes wahr. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle die Minuten.
Endlich werde ich wieder aus der dunklen Tasche gezogen. Zu früh gefreut. Die Frau steckt mit lediglich den Klinkenstecker der Kopfhörer in meine Headsetbuchse. Nun werde ich auch noch gezwungen finnische Musik abzuspielen, während die Frau ununterbrochen mit ihren Fingern auf meinem Bildschirm tippt um ihre Hausaufgaben doch noch vor dem Unterricht zu lösen. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle die Minuten.
Nun ist es 06.45 und endlich ertönt die Stimme der Zugführerin die meine nahende Erlösung bedeutet. „Nächster Halt: Zürich Hauptbahnhof. Wir bitten alle Reisenden auszusteigen und verabschieden uns von ihnen.“, heisst es. Mehr höre ich nicht, denn während dieser kurzen Durchsage wurde mir bereits der Klinkenstecker aus meiner Headsetbuchse gezogen. Erneut werde ich in die dunkle Tasche gesteckt und nehme ausser dem Geknister des Stoffes nichts wahr. Ich zähle die Sekunden. Ich Zähle die Minuten.
Um 07.05 werde ich erneut aus der Tasche gezogen. Doch es werden mir keine Kopfhörer angeschlossen, stattdessen lernt die Frau nun Französisch Vocci. Ihre Finger fühlen sich vom langen Warten in der Kälte hart und kalt an. Ich kann die erlösende Durchsage, die die Haltestelle Effretikon ankündigt, kaum erwarten. Diese kalten Finger fühlen sich wie kleine Stiche an und durch ihr ständiges Vertippen werden die Stiche aus Wut und Ungeduld immer stärker. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle die Minuten.
Endlich 7.20 doch die Durchsage will und will nicht ertönen. Je später sie ertönt, je schneller muss meine Besitzerin rennen und je heftiger werde ich in der dunklen Tasche durchgeschüttelt. Wieder werde ich ungeduldig. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle die Minuten.
7.22 Uhr; ich werde hastig in die Tasche gesteckt und werde von der Dunkelheit eingehüllt. Anscheinend rennt meine Besitzerin los, denn ich werde wie wild herumgeschüttelt und ein ohrenbetäubender Lärm von knistern des Stoffes ertönt. Zum Glück ist es nicht weit zum Bus und danach folgt der entspannteste Teil der Reise, denn ab dann ist meine Besitzerin mit anderen Mitschülern zusammen und braucht mich nicht mehr. Dann kann ich den Tag entspannt in der Tasche verbringen. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle die Minuten.